20070501

performance text (Deutsch)

Ich bin der Professor, Primarius, erprobter Empirist.
Ihr seid meine Studenten.
Wir befinden uns unter den gigantischen Blättern der Todengpflanzen.
Der Professor breitet seine Arme aus: Zunächst werde ich den kreisrunden Todengwalzer tanzen.

Seht, wie ich im Mondschein von einem Bein aufs andere trete.
Seht, ich wiege mich im Dreitakt, sachte schaukelnd wie ein Schiff auf großem Meerbusen.

Würde der Professor nun hinfallen, so könnte er durch die toxischen Substanzen im Boden Verätzungen zweiten Grades davontragen.
Die Säuren fressen sich tief in das organische Gewebe.

Die Studenten beobachten ihn im Mondschein.
Verehrte Kollegen!
Unter den gigantischen Todengblättern senken sie die Blicke und stochern mit beweglichen Zehen in der toxischen Erde und summen vor sich hin.
Als alter Empirist möchte ich Sie hier und heute dazu einladen, Zeugen eines einmaligen Experiments zu werden.
Stellen Sie sich dazu bitte in einem Halbkreis auf.
Der Primar beugt seinen Oberkörper nach vorne und geht dabei leicht in die Knie.
Sein Kopf streift die rhinozeroshautartige Oberfläche eines Todengblatts.
Die Pflanzen werfen langgezogene Schatten auf ihn.
Der Professor hat rote Beine.
Die Studenten haben goldene Beine.

Die Jungmediziner stehen im Halbkreis und singen:
Es gibt sie in allen Farben und Formen. Und es geht sich einfach herrlich damit!
Sie sind leichter als unsere ehemaligen organischen Beine.
Wir haben einen beschwingten eleganten Gang.
Die Mobilität der Kniegelenke ist enorm und die Sprungfederung der Fußgelenke allgemein erfreulich.
Wir können sehr hoch springen, wenn wir wollen.

Alle tragen Integrationsprothesen. Professoren, Studenten, Patienten...
Heutzutage lässt sich jeder nach der Beinamputation die Prothesen direkt in den Oberschenkelknochen einschrauben.
Die Massenproduktion der dafür benötigten spezifischen multiutilen Permanent-Materialien stellt kein Problem mehr dar.
Nur in 2% der Fälle treten Komplikationen in der Verbindung zwischen organischer Materie und dem Kunststoffprodukt auf.

Alle tragen Integrationsprothesen. Professoren, Studenten, Patienten...

Der Primar steht unter einem enormen Todengblatt.
Hört doch auf zu singen! Seht mich an.
Er breitet dir Arme aus.
Geschätzte Kollegen! Ich werde nun den kreisrunden Todengwalzer tanzen.
Der Primar beugt seinen Oberkörper nach vorne und geht dabei leicht in die Knie.
Sein Kopf streift das riesige Todengblatt.
Sein weißer Arztkittel liegt in einer Falte über seinem Rücken.
Seine Hoden lugen hervor und werden vom Mond beschienen.
Seht, wie ich von einem Bein aufs andere trete.
Seht, ich wiege mich im Dreitakt, sachte schaukelnd wie ein Schiff auf großem Meerbusen.
Beobachtet, wie ich mich so dem Rhythmus der Pflanzen annähere.
Beobachtet meine roten Füße.

Es ist allgemein üblich geworden, die organischen Beine, diese gefährdeten und letztlich gefährlichen Gliedmaßen abzunehmen, sobald die jeweilige Person ausgewachsen ist.
Diese Vorgehensweise erspart es vielen, Zeugen des langsamen und schmerzhaften Absterbens ihrer Beine zu werden.
Die Integrationsprothesen werden direkt in den Femurknochen eingeschraubt.
Nur in 2% der Fälle treten Komplikationen in der Verbindung zwischen organischer Materie und dem Kunststoffprodukt auf.
Es gibt sie in allen erdenklichen Farben und Formen.
Sie sind leichter als organische Beine.

Der Professor tanzt in weißem Arztkittel und mit Schutzfilter um den Mund den Todengwalzer.
Er wiegt sich im Dreitakt.
Während sich der Professor unter den gigantischen Todengblättern langsam im Kreis dreht, können alle Studenten der Reihe nach einen guten Einblick in Beschaffenheit, Größe und Form der zwei baumelnden Eier gewinnen.
Wie Sie bereits wissen – ruft der Professor, während er weitertanzt - wurden in den vergangenen zwanzig Jahren vermehrt Todengwälder auf europäischem Gebiet gepflanzt.
Eine der bemerkenswerten Eigenschaften dieser Pflanze ist, dass sie aus jedem noch so hochgradig toxischen Boden ihre Nahrung filtern kann..

Die Blätter des Todeng sind riesig.
Vom Nachtwind bewegt wippen sie sachte auf und ab.
Während Millionen haarfeiner Wurzelenden mühevoll an dem toxischen Erdboden saugen, drängen die restlichen lebenserhaltenden Nährsysteme der Pflanzen in Richtung Mondlicht.
Die Nährstoffe haben, bevor sie in die Blattperipherien weitergeleitet werden, einen komplizierten Filterungsvorgang zu durchlaufen, der Mondlicht voraussetzt.

Verehrte Kollegen! Als alter Empirist möchte ich sie hier und heute dazu einladen, Zeugen dieses nächtlichen Experiments zu werden.
Die Studenten stehen wartend um ihren Professor.
Zunächst werde ich – er breitet die Arme aus - den kreisrunden Todengwalzer tanzen.
Schon wieder? Die Studenten sehen sich an.
Wann beginnt eigentlich das Experiment?
Seien Sie doch nicht so kryptisch, Herr Professor!
Der Professor beginnt wieder zu tanzen.
Ach, ich spüre schon das erste Keimen! ruft er und dreht sich im Kreis.
Seine Hoden streifen einen riesigen Blütenkolben.
In mir windet und dreht es sich, berührt hier meinen Darm, dort sachte die Leber. Bald wird aus mir das pure Leben treten!
Die Jungmediziner runzeln die Stirn. Was soll das bedeuten?
Und was bedeutet Ihre interessante Demonstration auf die Todengpflanze angewendet?

Der Professor atmet stoßweise.
Seht, wie ich mich dem Rhythmus der Pflanzen annähere.
Seht, wie ich mich dem Todengwald und dem Dschungel Eurer Präsenz schmelzend hingebe.
Seht, wie die hoch aufgeschossenen Todengstauden mit mir zu beben beginnen.
Beobachtet meine roten Füße.
Beobachtet meine Brustwarzen, diese hoffenden Knospen. Eure Zeugenschaft... ach, mir wird ganz schwindlig.
Die Studenten werden nervös: Geschätzter Professor, sind Sie nicht eventuell Opfer einer pflanzlich induzierten Scheinschwangerschaft geworden?
Verwechseln wir doch bitte nicht wissenschaftliches Experimentieren mit einem Trick!

Der Primar dreht sich schneller und schneller im Kreis.
Er atmet stoßweise. Er hat Schaum vor dem Mund.
Er reißt sich den Arztkittel vom Leib.
Seine Hüften vibrieren.
Zuckend wirft er die Arme nach oben.
Aus seinen Brüsten schießen Fontänen milchiger Flüssigkeit.
Ein weißes Blitzen durchfährt seine Augen.
Die Beine des Professors beginnen zu glühen.
Die Wurzeln und Stämme der ihn umgebenden Todengpflanzen glühen.
Der Boden um den Professor beginnt zu glühen.
Die Studenten treten zurück.
Der Professor dreht schneller und schneller.
Seine Integrationsprothesen schmelzen nicht.

Zu Hilfe, der Primar droht zu fallen!

Würde der Professor nun hinfallen, so könnte er durch die toxischen Substanzen im Boden Verätzungen zweiten Grades davontragen.
Die Säuren fressen sich tief in das organische Gewebe.

Das Glühen des Bodens verebbt.
Der Professor kann die Bewegungen seiner Beine nicht mehr steuern!
Fast schleudert es ihn hin.
Seine Prothesen! Die Studenten stürzen zu ihm.
Vor dem Fall kann er sich gerade noch an einem Todengast festhalten.
Ein Blick auf die Beine des Professors liefert den Beweis.
Seine Integrationsprothesen verlieren ihren Halt im Oberschenkelknochen!

Der Professor hievt sich auf den Todengast und hängt nun kopfüber im Mondschein.
Er fühlt, wie die weichen Dornen des Astes gegen seinen Bauch drücken.
Herr Professor! Die Studenten rufen ratlos durcheinander.
Einige wollen ihn von der Todengpflanze lösen, ihn schleunigst aus dem Wald fortschaffen.
Lasst mich! Seht Ihr denn nicht? Bald wird aus mir das pure Leben treten!
Über die Wangen des Professors laufen Freudentränen
Bald werden meine lieben Todengkinder mich mit dem Erdboden verwurzeln!
Seht ihr nicht, wie sich ihre Köpflein recken, wie sie die Prothesen aus meinen Knochen treiben?
Tatsächlich. Seine Integrationsprothesen drehen sich, wie von unsichtbarer Hand bewegt, aus dem Femurknochen.
Schließlich lösen sie sich endgültig und fallen dumpf auf den Erdboden.
Sie rollen unter ein riesiges Todengblatt.
Aus den Beinstümpfen des Professors rinnt Blut.

Verehrte Kollegen! Der Professor breitet kopfüber hängend die Arme aus.
Seine Fingerspitzen berühren beinahe den toxischen Erdboden.
Werden sie nun Zeugen der ersten Todeng-Geburt!
Bleiben Sie bei mir, um bei diesem wunderbaren Vorgang zu assistieren.
Die Studenten haben sich gefasst und kommen interessiert näher.
Sie bestaunen die feinen wurzelartigen Todengtriebe, wie sie aus den Beinstümpfen des Primars treten.
Ich werde jetzt durch gleichmäßiges Atmen die Keimlinge in ihrem Streben, nach Außen zu dringen, ermutigen und so den Prozess beschleunigen.
Meine geliebten Todengkinder werden rasch wachsen.
Und wer weiß, wie hoch ich schließlich zwischen den Baumkronen schweben, mich inmitten ihrer Wipfel im Wind wiegen werde.